Fest des Schweizer Journalismus
«Wir feiern Geschichten»
Sep 8, 2025
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Peter Hossli
Zum dritten Mal lud die Ringier Journalistenschule am Sonntag zum Fest des Schweizer Journalismus nach Zofingen. Nicht Wurst und Wein standen in der Villa Römerhalde im Zentrum, sondern der Journalismus selbst. «Wir feiern gute Geschichten, gute Recherchen, spannende Projekte», begrüsste Schulleiter Peter Hossli die über 60 Gäste aus zahlreichen Medienhäusern des Landes. Er moderierte vier Gespräche mit Journalistinnen und Journalisten, die ihm in den vergangenen Monaten besonders aufgefallen waren.

Eine Recherche wird zum Kinofilm
Den Auftakt machte Arthur Rutishauser, Chefredaktor der SonntagsZeitung. Er sprach über seinen Dokumentarfilm Game Over, der den Niedergang der Credit Suisse schildert. Was als Artikelserie begann, wurde zum abendfüllenden Kinoprojekt. «Ein Kollege kam vorbei und fragte, ob ich aus meiner Arbeit nicht einen Film machen möchte», sagte Rutishauser. Zwar sei die Recherche ähnlich wie beim Schreiben, die Umsetzung aber ganz anders. «Man muss etwas erklären, ohne dass die Hälfte der Leute aus dem Kino rausläuft.»
Zu Wort kommen in seinem Film die Sieger; die Verlierer verweigerten sich. Die UBS-Banker Sergio Ermotti und Colm Kelleher treten auf, nicht aber die Spitzenmanager der ehemaligen Credit Suisse. «Ich nehme an, das hängt mit all den Klagen zusammen, die im Gang sind», so Rutishauser.

Langzeitprojekt
Nach der grossen Bank ging es in Zofingen um eine kleine, intime Welt. Fünf Jahre lang begleitete SRF-Reporterin Helen Arnet Flavia, eine junge Frau mit Magersucht. Entstanden ist ein zweiteiliger Dokumentarfilm, der ein Gesundheitssystem im Teufelskreis zeigt. «Es sind häufig junge Frauen, die anfangen zu hungern», sagte Arnet. «Sie kommen ins Spital, werden wieder aufgepäppelt. Nachher werden sie wieder entlassen. Sie sind für die Psychiatrie zu krank und für das Spital zu gesund.»
Arnet filmte allein, ohne Kameramann, was eine besondere Nähe schuf. Als Flavia den fertigen Film sah, war sie schockiert. «Sie hatte ja nie das Gefühl, dass sie so krank sei. Aber sie sah sich zum ersten Mal zu wirklich schlimmen Zeiten.»
Wie hielt sie diese lange Begleitung aus? «Mir lag ihr Schicksal am Herzen, weil es für so viele andere steht», erklärte Arnet. Sie kenne fast keine Frau, die nicht eine Tochter habe oder selbst einmal eine Episode mit Magersucht erlebt habe.
Der Film löste Diskussionen aus, Psychologinnen und Psychologen empfahlen ihn ihren Patientinnen und Patienten weiter.

Unter Schwingern
Den Tonfall wechselten Yara Vettiger und Vanessa Nyfeler, beide Reporterinnen bei der Schweizer Illustrierten, die im Vorjahr die Ringier Journalistenschule abgeschlossen hatten. Sie berichteten von ihren Reportagen am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest (ESAF) in Mollis. Vettiger schilderte, wie sie ihr Porträt über den neuen Schwingerkönig Armon Orlik recherchierte. Nyfeler fokussierte sich auf die Fans, auf Menschen abseits des Sägmehls. Beide erklärten, wie es gelingt, den TV-Sport Schwingen für ein Printmagazin attraktiv aufzubereiten. «Das Wichtigste ist, nahe an den Leuten dran zu sein.»
Die beiden Journalistinnen berichteten aber auch, dass sie am ESAF nicht nur gute Erfahrungen machten. «Als junge Frau im Sportsjournalismus bin ich es mir gewohnt, in einer männerdominierten Branche zu arbeiten», erzählte Vettiger. Doch die Reaktionen am ESAF seien heftig gewesen: «Ich wurde von vielen Männern gruselig angemacht und auf meinen Körper reduziert.»

Freischaffend im Nahen Osten
Zum Schluss weitete sich der Blick in den Nahen Osten. Karin A. Wenger, langjährige freischaffende Reporterin und Teilzeit-Auslandredaktorin der NZZ am Sonntag, sprach über ihre Arbeit in Syrien, Irak und Libanon. Anfang Januar reiste sie nach Syrien, wenige Wochen nach dem Sturz des Assad-Regimes. Ihre Reportage über den «Minister der Bäckereien» – einen ehemaligen Bäcker, der nun für die Brotversorgung des ganzen Landes verantwortlich ist – zeigt, wie sich komplexe politische Umbrüche an konkreten Personen erzählen lassen.
Warum wählt sie ein so schwieriges Feld wie den Nahen Osten? «Ich habe gerne komplizierte Sachen», sagte Wenger. Das zwinge sie zu akribischer Differenzierung. «In diesem Konflikt darf man sich keine Fehler erlauben, weil man sonst sofort Glaubwürdigkeit verliert.»

Nach den vier Auftritten wandten sich die Gäste den Getränken und Speisen zu. Bei Grilladen, Wasser, Bier und Wein sprachen Chefredaktorinnen mit Reportern am Anfang ihrer Karriere, Ressortleiter mit journalistischen Urgesteinen, Verleger mit Volontären – alle vereint von dem, was sie antreibt: den Geschichten, die sie erzählen wollen.

Fotos: Mattia Coda